Osterspecial: Atze und Nadine – Die Erleuchtung

Atze und Nadine (und der Erzähler) leben natürlich nicht nur im Garagenhof, sondern müssen auch mal raus. Zum Beispiel zum Teilekaufen. In der Geschichte aus dem Kurier 97 vom Oktober 2008 betritt „Manni“ die Bühne der Erzählungen (wer hie und da in Düsseldorf MG-Ersatzteile kauft, wird eine Vermutung haben, wer Vorbild für die sagenumwobene Gestalt dieser Erzählung war). Auf jeden Fall ist das eine gute Geschichte zum Osterausklang, denn es gibt…

Die Erleuchtung

„Hast Du die Moss-Teilenummer?“ Natürlich habe ich die Moss-Teilenummer. Sogar im Kopf. Ich habe alle Moss-Teilenummern im Kopf. Ich weiß, dass es bei Einkäufen bei Manni nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder liegt das gesuchte Teil schon auf dem Tresen, weil er ahnte, dass ich heute kommen würde, und wüsste, was ich bräuchte. Oder Manni tappt völlig im Dunkeln und fragt nach der Moss-Teilenummer.

„456-500“ – „Aha, ein Kotflügel MG TC vorne rechts. Seit wann hast Du einen MG TC?“ Ich hatte keinen MG TC, ich hatte vermutlich einen Zahlendreher. „Äh, ich meine 450-650.“ – „Immer noch TC. Seitenteil für die Box, wo die Seitenfenster aufbewahrt werden.“ Na toll. Hier stand ich nun, konnte alle Moss-Teilenummern auswendig, aber hatte vergessen, auch die Teile zu den Nummern zu lernen.

„Na, dieses Federdingens hinten auf der Getriebewelle, was man abmachen muss, um den Overdrive abzuziehen.“ – „Ham wer nich. Kriegen wir auch nich wieder rein. Sowas geht doch auch nicht kaputt.“

Manni wusste sofort, was ich meinte. Es ging also offensichtlich auch ohne Teilenummer. Recht hatte Manni natürlich auch. So ein Teil geht nicht kaputt. Höchstens verloren.

Die Vorgeschichte? Es war wie immer. Ich fluchte in der Garage, Atze war irgendwo in oder nach eBay unterwegs („Porsche Trecker. Das Kultfahrzeug überhaupt. Diesmal fahr ich aber hin, bevor ich biete!“). Nadine hatte keine Lust gehabt, mitzufahren („Das boykottiere ich. Für die Kohle kriegt man locker 2 Wochen Südfrankreich. Oder ein neues Ledersofa. Wenigstens einen Midget!“) und leistete mir in der Garage bei Getriebebasteleien Gesellschaft.

Ich grummelte vor mich hin. „Mistdingens. Ich krieg das nicht runter. Ich brauch jetzt erstmal einen Kaffee. Nichts anfassen!“ meinte ich und verzog mich in die Küche. Im Kühlschrank fand ich keinen Kaffee, dafür aber ein lecker Fläschchen „Uerige“ Altbier. In das kontemplative „Plopp“ des herrlich klassichen Porzellan-Bügelverschlusses mischte sich plötzlich ein fernes „Pling“, gefolgt von „Pleng“ (könnte die Seitenwand des Spindes in der Garage gewesen sein?), ein erneutes „Pling“ (Glasfenster der Werkstatt, leicht offenstehend?), und schließlich ein „Plitsch“ (Bächlein hinter der Werkstatt, definitiv!). Dann noch ein „Uii!“ von Nadine.

Das klang nicht gut…Nadine hatte mit schwerem Gerät versucht, eingangs erwähnter Sicherungsfeder Herr (oder Frau?) zu werden. Was de facto auch gelang – die Feder war ab, nun aber unauffindbar.

Mithin wurde irgendein zufällig herumstehender MG gesattelt (ich hatte den Kaffee mittlerweile völlig aus den Augen verloren…) und die Reise zu „Mr. Teileversorgung“ angetreten und nun fand ich mich vor Mannis Theke wieder und wurde belehrt: „Ham wer nich. Kriegen wir auch nich wieder rein. Sowas geht doch auch nicht kaputt.“

„Habs verloren…“ gestand ich, meine Augen wurden feucht. Mitleidig schaute Manni mich an und erkannte in den Tiefen meines treuen Blickes eine gute Schrauberseele. Und fasste seinen Beschluss: „Wir können ja mal ins Gartenhäuschen gehen.“

Ich traute meinen Ohren nicht. Wurde ich da gerade ins sagenumwobene Gartenhäuschen eingeladen? Wohl nur wenigen Sterblichen war dies vergönnt gewesen, doch nie habe ich jemanden darüber reden hören. Das Gartenhäuschen…völlig verwunschen stand es da, neben der Werkstatthalle, umringt von einigen ausgebeinten MGs und Minis, überwuchert von seltsamen rostroten Schlingpflanzen, die noch von keinem Naturforscher klassifiziert waren. Und nun hatte ich es geschafft, ich bekam Zutritt zum Hort des Grals, zur Bundeslade, zum goldenen Oktagon. Sollte am Ende doch in allem ein Sinn liegen, sollte Nadines Missgeschick die Erreichung einer höheren Ebene vorbereitet haben?

Mir war stark religiös. Der Himmel verdunkelte sich, Manni schritt voran, ich folgte, in Ehrfurcht schweigend. Ein großer Schlüssel wurde hervorgeholt, stach ins Schloss des Gartenhäuschens und drehte sich knarrend im lange nicht mehr genutzten Mechanismus. Die wurmstichige Pforte schwang auf und gab den Blick frei auf Berge rarer und rarster Teile.

Da lagen Zoller- und VD-Kompressoren aufeinander, Spezial-Achsgetriebe träumten von Hochgeschwindigkeitssessions, auf der Werkbank achtlos ausgebreitet waren Drehzahlmesser vom MG J4, K1, 2, 3 zu sehen.

Draußen ging derweil die Welt unter. Donnergrollen war aus der Ferne zu hören, die ersten Blitze zackten.

„Nimm, mein Freund!“ raunte Manni. „Was? Wo?“ fragte ich. In dem Moment riss der Himmel auf, die Sonne blitzte durch die dunklen Wolken. Einem Schweißbrenner gleich schnitt ein gleißender Strahl in das Gartenhäuschen, verharrte auf einer Getriebewelle und zeigte auf das Objekt der Begierde – das Federdingens, welches verloren gegangen war.

„Nimm schon!“ mahnte Manni. Ich nahm. „Manni…danke!“ Und neugierig geworden: „Sag, was ist das denn nun für eine Teilenummer?“ – „Dieses Teil, mein Sohn, steht in keinem Katalog. Es hat keine Nummer. Und Du bist niemals hiergewesen…“

Text: Andreas Pichler